"Sie meinen es politisch!" 100 Jahre Frauenwahlrecht > Wahllokal
Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie am Ende des Ersten Weltkriegs rief die provisorische Nationalversammlung im Zuge der revolutionären Bewegungen am 12. November 1918 die Republik Deutschösterreich aus. Auch das Wahlrecht wurde demokratisiert: Frauen wurden den Männern gleichgestellt, und alle Stimmen hatten nun den gleichen Wert. Die Einführung des Frauenwahlrechts beruhte auf dem unermüdlichen Bemühen engagierter Frauen und der Bereitschaft gleichgesinnter Männer, sich für dieses Recht einzusetzen.
Die ersten demokratischen Wahlen in Österreich waren ein besonderes Ereignis. In Wien wurden in den Morgenstunden Tausende Stimmzettel aus Flugzeugen abgeworfen. Die Zeitungen berichteten von Demonstrationszügen mit Musikkapellen, von mit Wahlwerbung behängten Autos und wahlwerbenden Frauen.
Die neue Republik
Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich gegründet und ein demokratisches Wahlrecht eingeführt. Damit wurde das Wahllokal zum sichtbaren Ort, an dem die Bevölkerung an der Demokratie teilnehmen und ihr Recht als Staatsbürger*innen ausüben konnte. Das Wahllokal selbst wurde umgestaltet: Vor allem eine Wahlzelle sollte nun das geheime Wahlrecht sichern, auch wenn – im Unterschied zu heute – der ausgefüllte Stimmzettel bereits in das Wahllokal mitgebracht werden durfte. Neu war auch, dass Frauen von nun an als Wählende und Mitglieder der Wahlbehörde im Wahllokal allgegenwärtig waren.
Die politischen Parteien erkannten, dass nun auch Frauen als Wählerinnen mobilisiert werden mussten. Viele hielten eigene Frauenversammlungen ab, Anliegen der Frauenbewegung fanden aber nur bei wenigen Parteien Berücksichtigung. Deutschnationale Abgeordnete hatten das Frauenwahlrecht vereinzelt noch 1918 abgelehnt.
Wer wählt?
Die Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 waren die ersten, an denen Frauen als Wählerinnen, als Kandidatinnen für den Nationalrat und als Mitglieder der Wahlkommissionen teilnehmen konnten. 1919 galt noch eine moralische Einschränkung des Wahlrechts: Prostituierte erhielten erst 1920 das aktive und passive Wahlrecht. Knapp 54 Prozent der Wahlberechtigten am 16. Februar 1919 waren Frauen.
Stimmzettel
Anders als heute waren bei der Wahl am 16. Februar 1919 sowohl der amtliche als auch ein mitgebrachter Stimmzettel gültig – vorausgesetzt sie nannten unzweideutig den Namen einer Partei und/oder mindestens eines oder einer Kandidat*in. Der oder die Wähler*in wurde angewiesen, sich in die Wahlzelle zu begeben, den ausgefüllten Stimmzettel in das Kuvert zu legen, danach herauszutreten und das verschlossene Kuvert dem oder der Wahlleiter*in zu übergeben, der oder die es ungeöffnet in die Wahlurne legte.
Werden Frauen wählen und uns ihre Stimme geben?
Diese Frage bereitete allen Parteien vor der Wahl am 16. Februar 1919 Sorgen. Bei dieser ersten demokratischen Wahl gaben 82 Prozent der Frauen und 87 Prozent der Männer ihre Stimme ab. Damals wählten Frauen mehrheitlich konservativ. Ob Frauen und Männer unterschiedlich wählen, interessiert Politik und Wissenschaft bis in die Gegenwart. Heute wird versucht, diese Frage mithilfe von Wahltagsbefragungen zu beantworten.