Reproduktion
Reproduktion umfasst die Geburt, Pflege und Erziehung von Kindern sowie Hausarbeit, wobei wir uns in diesem Kapitel auf den Aspekt der Fortpflanzung konzentrieren. Es geht um reproduktive Entscheidungen im Sinne von Steuerung menschlicher Fortpflanzung.
Mit der Errichtung von Eheberatungsstellen in der Ersten Republik gab es, basierend auf der Eugenik (Erbgesundheitslehre), kommunale Steuerungsversuche zur Familienplanung. Sozialdemokratische Politikerinnen forderten in den 1920er Jahren erfolglos die kostenlose Bereitstellung von Verhütungsmitteln und eine Liberalisierung bzw. Streichung des § 144 StBG - laut diesem Paragraphen stand Abtreibung in Österreich unter Strafe. Illegal durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche wurden mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Im Austrofaschismus wurden die Strafen zusätzlich verschärft. Selektion stand im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik: Rassisch unerwünschte Schwangerschaften wurden mittels Eheverboten und Zwangssterilisationen verhindert, der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert. Abtreibung wurde unter Todesstrafe gestellt.
In den 1950er und 1960er Jahren erfolgten staatliche Interventionsversuche in den Bereich der Reproduktion vor allem über familienpolitische Maßnahmen wie das Karenzurlaubsgeld. Nach heftigen politischen Auseinandersetzungen stellte die SPÖ-Alleinregierung 1975 im Zuge der großen Strafrechtsreform das Delikt der Abtreibung innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen straffrei. Als flankierende Maßnahmen zur sogenannten Fristenlösung wurden verstärkte Initiativen zur Aufklärung über Empfängnisverhütung, der Ausbau von Familienberatungsstellen und die Erhöhung von Geburtenhilfe und Karenzgeld beschlossen. Bis heute ist die Freigabe des Schwangerschafts-abbruches ein Konfliktthema, anhand dessen der gesellschaftliche Wertekanon verhandelt wird.
Es geht dabei nicht nur um religiöse Aspekte, sondern auch um die Differenz zwischen öffentlichen Interessen und jenen des Individuums sowie jener zwischen "ExpertenInnen" (ÄrztInnen, RichterInnen) und den schwangeren Frauen, letztlich aber auch um das Geschlechterverhältnis und dessen hierarchische Strukturierung.
Das Recht von Frauen, selbst über ihren Körper zu bestimmen, stand auch im Mittelpunkt der feministischen Kritik gegenüber dem Fortschreiten von Gen- und Reproduktionstechnologien ab Mitte der 1980er Jahre. Mit der Praxis der künstlichen Befruchtung stellten sich neue Fragen nach biologischer und sozialer Elternschaft. Seit 1992 ist der Bereich Fortpflanzungsmedizin gesetzlich geregelt. Künstliche Befruchtung ist demnach nur in einer Ehe oder in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zulässig. Leihmutterschaft und Eizellspenden sind in Österreich verboten.